Mit dem Titel ihrer Fotoarbeiten »Lost Paradise«, 2002/2003 als Teil eines umfangreichen Werkkomplexes entstanden, verweist Marie-Jo Lafontaine (geb. 1950) zunächst auf den alttestamentarischen Mythos der Genesis – der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies als abschreckende Konsequenz menschlicher Hybris und des Verstoßes gegen gesetzte Regeln.
Dem in der Schöpfungsgeschichte geschilderten dramatischen Verlust einer idyllischen Welt des vollkommenen Glücks als Ursprung allen menschlichen Elends, aller Not und allen Verderbens hat Marie-Jo Lafontaine einen Zyklus überladener buntfarbener Blumenarrangements als aktuelle Interpretation des 21. Jahrhunderts entgegengesetzt. Mithilfe digitaler Technik komponiert die Künstlerin ausschnitthafte Blumenbilder von chaotischer, überfrachteter Üppigkeit: Grellfarbene Blüten und Stängel wuchern wild und dicht durcheinander. Durch fotografische Manipulation wie Vergrößerung und Unschärfe wird der Blick des Betrachters irritiert und zugleich eigentümlich in die Bildtiefe dieses Horror Vacui gesogen. Die Schönheit der überbordenden Blumenpracht wirkt schnell falschfarben, übernatürlich und künstlich. Somit kehrt sich die ursprüngliche Schönheit des Blumenmotivs – Sinnbild des Paradiesischen – bald ins Gegenteil: Aus erwarteter Harmonie dieses mit größter Unmittelbarkeit erscheinenden Abbildes floraler Schönheit wird Beklemmung, ein Bewusstwerden von Verlust und Vergänglichkeit stellt sich ein. Fragen nach dem heutigen Zustand der Natur werden wach, das Eingeständnis der fortschreitenden Zerstörung der Natur durch Eingriffe menschlicher Hand bleibt als bitterer Nachgeschmack angesichts dieser Vision von Schönheit und verweist den Betrachter doch letztlich wieder auf seine Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.